Gerhard Osterbauer's Abenteuer Antarktis: 6 Tage Schneesturm

Gerhard Osterbauer's Abenteuer Antarktis: 6 Tage Schneesturm

Julia: Hallo Gerhard! Schön, dass du heute online dabei bist und uns von deinem bisher größten Abenteuer in der Antarktis erzählst.

Zu Beginn wäre es super, wenn du dich kurz vorstellen könntest. Wer bist du und was machst du?

Ich bin Gerhard, 52 Jahre alt und lebe mit meiner Familie in Wien. Ich mache seit 30 Jahren Expeditionen auf alle Kontinente der Erde, wobei die Ziele dieser Expeditionen meistens Gipfel von sehr hohen Bergen sind. Beruflich halte ich Vorträge über diese Expeditionen und habe einige Bücher geschrieben.

Julia: Was bedeutet Abenteuer für dich im Alltag und was für einen Stellenwert haben Abenteuer für dich?

Abenteuer hat für mich schon seit ich klein bin einen sehr hohen Stellenwert im Leben. Für mich hat Abenteuer immer etwas mit Ungewissheit zutun, nicht nur ob man am Ende das Ziel erreicht oder nicht, sondern auch wie man mit inneren Umständen oder Zweifel am Weg dorthin umgeht. Abenteuer eröffnen mir immer völlig neue Horizonte über mich selbst.

Julia: Und was war dein bisher größtes Abenteuer?

Wenn ich eines auswählen müsste, dann wäre das für mich meine Expedition in die Antarktis im Jahr 2005. Wir sind dort als 2-Mann-Team hingereist, um den höchsten Berg der Antarktis zu besteigen. Verglichen mit den 8.000er Gipfeln im Himalaya ist dieser Mount Vinson mit seinen 5.140 m nicht sehr hoch. Die Herausforderung bei diesem Berg ist dabei gelegen, dass er in einer der lebensfeindlichsten Umgebungen am Ende der Welt steht. Denn dort ist es bitterkalt, das Wetter ist unvorhersehbar und du triffst auf keine Menschenseele. Allerdings ist die Antarktis definitiv ein einzigartiges Stück schöner Natur. Sie zeichnet sich für mich durch ihre unglaubliche Unberührtheit und Schlichtheit aus.

Bevor ich mein Abenteuer in die Antarktis startete, wusste ich schon, dass es sehr schwierig und teuer werden würde, dorthin zu kommen. Jedoch wusste ich, dass ich einmal in meinem Leben hin muss und das auch nicht wiederholen werde. 

Wir sind damals in einem kleinen Flieger von einer Forschungsstation an den Fuß des Gebirges geflogen. Und gleich kurz nachdem wir aus diesem Flieger gestiegen sind, hat er sich wieder aus dem Staub gemacht. Und dann standen wir da. Es wurde still um uns herum und weit und breit war nichts und niemand zu sehen. Das kennt man so gar nicht mehr, weil man immer von Geräuschen, Menschen oder Zivilisation umgeben ist. 

Üblicherweise ist es so, dass man auf dieser Route 2 Hochlager macht und wir haben uns gedacht, dass wir nur ein Lager machen und dieses ganz unten am Berg aufstellen. Dann haben wir dort unser Zelt aufgebaut und sind anschließend die ersten 1.000 Höhenmeter der Route gegangen. Es war wirklich ein schöner Tag und wir haben uns dazu noch akklimatisieren können. Nachdem wir uns den Eisbruch dort oben angesehen haben, sind wir zurück zu unserem Zelt gewandert und haben dort beschlossen, dass wir noch einen Tag Pause machen werden. Während wir es uns zum Ausruhen in unserem Zelt gemütlich gemacht haben, ist ein unglaublicher Sturm hereingezogen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt wirklich schon einige Berge bestiegen, aber das war eine Situation wie ich sie in 20 Jahren Bergsteigen noch nie erlebt habe. Es war eine Eiseskälte, starker Sturm und keine Sicht.

Dieser mächtige Schneesturm hat dann 6 Tage lang angehalten. Und während diesen 6 Tagen habe ich mich selbst wieder ein Stück weiter kennengelernt. Denn wer bist du in diesen 6 Tagen, wo du in diesem Zelt eingeschlossen bist und Sorgen hast, dass das Zelt kaputt geht, der Brennstoff nicht reicht oder du keine Zeit mehr für das Erklimmen des Gipfels hast? Dadurch war es für mich mit Abstand das größte Abenteuer, da der Kontinent und die Umstände herausfordernder war als der Berg selbst.

Aufgrund des starken Sturms mussten wir irgendwann unser Zelt schützen, weshalb wir mit einer Schneesäge Schneeblöcke ausgeschnitten haben. Aus diesen Schneeblöcken haben wir dann eine Mauer um das Zelt gebaut, um den Sturm über das Zelt zu lenken. Das Problem war allerdings, dass der Wind diesen Schutzwall nach 36 Stunden weggeweht hat und wir diese Mauer immer wieder neu bauen mussten. Unmittelbar in der Nähe haben wir irgendwann keinen passenden Schnee mehr gefunden, deshalb mussten wir immer weiter weg gehen. Von dort aus konnten wir irgendwann das Zelt nicht mehr sehen und fanden nicht mehr so leicht zurück. Das haben wir gelöst, indem wir uns gegenseitig an ein 60 Meter langes Kletterseil angebunden haben, um uns nicht zu verlieren. Eine sehr absurde Situation, die glücklicherweise gut ausgegangen ist.

Gerhard Osterbauer in der Antarktis wie sie ihr Zelt mit Schneeblöcken sichern

 

Nach 6 Tagen hat dieser Sturm dann endlich sein Ende gefunden. Danach haben wir uns schnell zusammengepackt und sind in 15 Stunden auf den Mount Vinson hinauf und wieder hinunter gegangen. An diesem Tag waren die Wetterverhältnisse dann perfekt! Ich kann mich noch gut erinnern, als wir um Mitternacht bei Windstille und -30 Grad auf dem Gipfel gestanden sind. Wir haben trotzdem sehr weit gesehen, weil es dort im antarktischen Sommer 24 Stunden hell ist. Dort oben hatten wir eine einmalige Aussicht über den Kontinent.

Julia: Was genau sieht man von dort oben?

Du siehst unendliche Weite. Ein Gebirge wie beispielsweise die Hohen Tauern und dort wo das Gebirge unten aufhört, beginnt eine endlose Weite Ebene und irgendwann sieht man den Horizont.

Julia: Und wir habt ihr euch die Zeit vertrieben, als ihr 6 Tage lang im Zelt eingesperrt wart? Fernsehen wird dort ja schwer möglich gewesen sein. 😊

Das ist eine gute Frage. Ich habe sehr viel geschrieben und mein Partner hat währenddessen viele Sudokus gelöst. Außerdem hatten wir immer was zu tun, wie zB Schnee schmelzen, Essen kochen, Zelt reparieren und sichern oder im warmen Schlafsack ausruhen. Man muss sich aber schon selbst kennen in solchen Situationen – ich würde keinem empfehlen das als erste Tour zu machen. Allein diese Einsamkeit dort, die trifft einen schon hart.

Julia: Mit wem genau hast du denn dieses Abenteuer bestritten und wie hast du diese Person ausgewählt?

Er heißt Gerald und ist ein echt witziger Typ. Er ist kein Bergsteiger im klassischen Sinne, aber ein unglaublicher Allrounder, der es liebt Turniere zu tanzen, Fallschirm zu springen und Tiefsee zu tauchen. Gleichzeitig hat er alle 7 Summits bestiegen und war sogar am Everest. Allerdings kommt der Gerald nie so gut vorbereitet, weder körperlich noch organisatorisch, auf eine Expedition wie ich. Damals war mein Schlitten auch um 10kg schwerer als seiner. Aber ich habe schon vieles von ihm lernen dürfen. Er bestreitet Abenteuer vor allem mit seiner mentalen Stärke und seiner unglaublichen Konstruktivität. Was auch immer auf einer Expedition passiert, ich kann mir sicher sein, dass er nie die Flinte ins Korn werfen würde. Er ist immer bemüht Lösungen für Probleme zu finden.

Ich habe mit ihm auch einmal eine Expedition nach Papua-Neuguinea gestartet und dort ist so ziemlich alles schiefgegangen, was nur schiefgehen hätte können. Und trotzdem war er immer entspannt und konstruktiv - für den Gerald ist genau das ein perfektes Abenteuer. Was das Bild von ihm komplett macht ist sein Job als Steuerberater. Dort ist er ein knochentrockener Typ und arbeitet den ganzen Tag mit Zahlen.

Julia: Alles klar. Also hat sich der Gerald direkt ins Abenteuer gestürzt, aber wie hast du dich denn vorbereitet?

Mit einem großen Berg in Alaska, der war noch 1.000 Höhenmeter höher als der Berg in der Antarktis. Von der Herausforderung war er aber ähnlich, da man auch dort einen Schlitten nach sich zieht. Aber auch in Österreich habe ich viel in den Bergen trainiert und fleißig Höhenmeter gesammelt. Körperlich war der Mount Vinson in der Antarktis keine große Sache, wichtig war es, die „Logistik“ kennenzulernen. Wie ist das mit diesem Schlitten? Wie packt man ihn? Wie bekommt man ihn über Kletterspalten? Wie muss man das Zelt aufstellen, damit es nicht davonfliegt? Wie funktioniert der Plan B ein Iglu zu bauen? Mit diesen Dingen habe ich mich über ein Jahr davor schon beschäftigt.

Julia: Welche 3 Key Takeaways würdest du anderen Abenteurern mitgeben?

#1 wähle den richtigen Partner/die richtige Partnerin für das Abenteuer aus

Wenn du dein Abenteuer nicht alleine startest, dann ist das Wichtigste, dass du den richtigen Partner oder die richtige Partnerin an deiner Seite hast. Ich glaube, dass das Ziel gar nicht so wichtig ist, wenn du die Zeit, um das Ziel zu erreichen, mit den richtigen Menschen verbringst. Man sollte dabei auch einfach eine gute Zeit haben und den Weg dorthin genießen.

#2 konstruktiv und entspannt bleiben

Auf einem Abenteuer wird immer etwas schief gehen, das liegt in der Natur der Sache. Es werden ganz sicher überraschende und unerwartete Dinge auftauchen. Genau in diesen Situationen sollte man entspannt bleiben – das ist wirklich eine wichtige Eigenschaft.

#3 höre niemals auf daran zu glauben, dass du dein Ziel erreichen kannst

Das habe ich in den wirklich hohen Bergen im Himalaya gelernt, da es dort Stunden und Schneesituationen gibt, wo man glaubt, dass man es nicht mehr schaffen kann. In solchen Momenten spricht rational betrachtet alles dagegen  wenn man aber trotzdem dranbleibt, wird man sein Ziel ganz sicher erreichen. Ich hatte auch einmal einen Bergunfall, wo ich mich schwer verletzt habe und dachte, dass ich nie wieder klettern konnte. Wenn man allerdings an sich selbst glaubt und eine positive Einstellung hat, dann geht oft mehr als man glaubt.

 

Mehr zu Gerhard Osterbauer: www.gerhardosterbauer.com

 

 

 


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